Die ewige Suche…

… begann, als Nick in den Kindergarten kam. Das war im September 2010. Ganz behutsam gewöhnten wir unseren kleinen, schüchternen Schatz an die neuen Erzieherinnen und Kinder. Bald fühlte er sich dort wohl und wir konnten ihn ruhigen Gewissens jeden Morgen dorthin bringen und zur Arbeit fahren. Nach dem Kindergarten war Nick recht müde, aber das war ja in unseren Augen auch völlig normal nach einem so langen Tag mit vielen neuen Reizen etc. Nach einigen Wochen suchten die Erzieherinnen schon das Gespräch mit uns. Die Einrichtung ist diesbezüglich sehr vorbildlich, was die Resonanz über das Verhalten der Kinder angeht. Insgesamt hatte sich Nick ganz gut eingefunden, war aber insgesamt deutlich ruhiger als die anderen Kinder, manchmal sogar etwas sehr in sich zurückgezogen. Besorgniserregend fanden die Erzieherinnen jedoch vor allem die motorischen Fähigkeiten von Nick, die im Vergleich mit den gleichaltrigen Kindern doch sehr viel schlechter waren. Man empfahl uns eine osteopathische Behandlung oder evtl. sogar die Teilnahme am psychomotorischen Turnen. Ein klein wenig empört war ich schon darüber. Gedanken wie "Was bilden sich diese Erzieherinnen denn bitte ein etc….." drängten sich hier und da schon auf. Aber ernst genommen haben wir es dennoch. Wir waren ja auch nicht blind! Natürlich blieb uns nicht verborgen, dass Nick sich sehr schwer tat in seinen Bewegungen. Dass er nicht so flink war wie die anderen Kinder und beim Klettern Unterstützung brauchte. Aber er war ja auch erst drei Jahre alt und eben eher ein ängstliches Kind. Sprachlich war er dafür schon recht weit entwickelt. Damit trösteten wir uns meistens… Aber natürlich machten wir einen Termin bei einer sehr guten Osteopathin, die ursprünglich als Orthopädin praktiziert hatte in früheren Jahren. Des Weiteren stand die U7a an, welche wir einen Monat nach Nicks drittem Geburtstag wahrnahmen. Dem Kinderarzt berichteten wir von den Bedenken der Erzieherinnen. Dieser tat alle Beschreibungen bezüglich Nicks reduzierter Motorik ab mit der Aussage "Na, dann wird Ihr Sohn halt kein Leistungssportler, aber schauen Sie sich an, aus Ihnen ist ja auch etwas geworden!" Einerseits etwas erleichtert, eine entwarnende Bemerkung aus "professionellem" Munde gehört zu haben, aber auch etwas verärgert, da überhaupt nicht ernst genommen, verließen wir die Arztpraxis.

Wir hatten drei Sitzungen bei der Osteopathin, die eine Störung des craniosacralen Systems feststellte und diese beheben konnte. Ich glaubte damals nach Studium einiger Bücher, es könne sich um ein KiSS handeln und stellte Nick zusätzlich orthopädisch vor. Doch ein KiSS konnte ausgeschlossen werden, schließlich bot Nick keinerlei Asymmetrie. Auch das Becken sei frei beweglich, sodass der Orthopäde keine knöcherne Ursache der motorischen Probleme feststellen konnte.

Es wurde langsam Winter und es schneite sehr viel. Der Boden war häufig vereist und das Laufen ohne zu rutschen fiel sogar mir schwer. Also trug ich Nick viel, weil ich befürchtete, er könnte stürzen. Als die Wege wieder zugänglicher wurden, wollte Nick dennoch getragen werden, was ich erstaunlich fand, denn er hatte ursprünglich seine Rituale auf dem Weg in den Kindergarten gehabt und wenn ich ihn zuvor aus Zeitgründen tragen wollte, gab es sonst einen riesen Protest von Nick. Ich glaubte also, ein kleiner Verwöhnungseffekt habe sich eingeschlichen. Naja, es machte mir nichts aus, das Kind auch mal zu tragen, aber ich wollte auch nicht, dass er "aus der Übung kommt".

Der Kindergarten erwies sich als sehr besorgt und hilfsbereit, blieb in dauernder Konversation mit mir und gab mir weiterhin Tipps, wo wir weitere Hilfe finden könnten. Also ging unsere Odyssee weiter…...

Auf den Termin bei der Kinderneurologin mussten wir lange warten. Im Frühjahr 2011 gingen wir mit Nick zur Untersuchung dorthin. Auch diese stellte eine deutliche Diskrepanz zwischen den motorischen und den sonstigen Fähigkeiten von Nick fest. Viele Worte wurden nicht verloren, schließlich war ich ja vom Fach und konnte den Bericht lesen! Nick wurde Ergotherapie verordnet. Nach mehrmaligem Lesen des Berichtes und Hinzunahme weiterer Literatur sollte wohl bei Nick eine sensorische Integrationsstörung (SI) vorliegen. Aha! Er erhielt Ergotherapie einmal pro Woche. Wir liehen und kauften eine Menge Bücher und versuchten, unseren eher ruhigen, kleinen, müden Stubenhocker wann immer es ging zur Aktivität zu bringen und zur Bewegung zu motivieren. Die Müdigkeit ließ sich sehr gut durch die SI erklären, man solle die Kinder aber in Bewegung halten, das sei die einzig mögliche Therapie. Die ruhigen Tätigkeiten, die Nick eher möchte, seien eher schädlich… Also scheuchten wir unseren Kleinen regelrecht und redeten auf ihn ein, dass es besser für ihn sei, wenn er übe und klettere und nochmal eine Runde Laufrad führe etc. Es fiel ihm aber alles so schrecklich schwer und wir konnten es einfach nicht nachvollziehen. Manchmal trieben wir ihn regelrecht an, es müsse doch schneller gehen, er habe das doch alles schon einmal besser gekonnt etc. Das war unglaublich hart für unser Elternherz, den Kleinen zu beobachten, wie er immer wieder sagte, er könne das nicht schneller oder besser und andererseits aber darauf zu bestehen, es nochmal zu versuchen und nochmal auf andere Weise auszuprobieren. Wir glaubten aber, das Beste für das Kind zu tun. Aber der Zweifel blieb, ob das denn wirklich alles so richtig sein konnte und es " nur" die SI war als Ursache. Wir waren noch beim Augenarzt und beim HNO-alles in Ordnung-niemand wusste Rat. Also suchten wir einen zweiten Neuropädiater auf, das war dann Anfang Mai 2011. Zu diesem Zwecke führte es uns diesmal nach Iserlohn ins Bethanien Krankenhaus. Hier war man zumindest endlich ebenfalls mal der Meinung, dass eine weitere Abklärung zu erfolgen habe. Insbesondere, da sich das dort geschriebene EEG auffällig zeigte. So erhielten wir einen Bericht an unsere behandelnde Neurologin mit der Maßgabe, ein MRT und eine Blutuntersuchung durchzuführen. Um die Organisation kümmerten wir uns wieder einmal selber. So konnten wir aufgrund von Beziehungen einen relativ raschen MRT- Termin erhalten. Dieses sollte in Vollnarkose stattfinden, sodass wir diese ebenfalls zur Blutentnahme nutzten. Die Blutröhrchen hatten wir zuvor bei unserer Neurologin in der Praxis abgeholt. Es klappte alles reibungslos. Nick hatte die Narkose gut vertragen, das Blut war entnommen und nach Befundung durch den Neuroradiologen war die Nativaufnahme des MRT absolut unauffällig, sodass man auch keine Kontrastmittelgabe für notwendig hielt! Wir waren zunächst erleichtert! Also sagten wir uns und dem Kind jeden Tag immer wieder- eher suggestiv- "Nick, Du bist gesund! Du kannst das!" Das sollte Hoffnung machen und uns motivieren, mit dem immer schneller erschöpften Kind weiter zu üben. Doch der Erfolg blieb aus. Die Ergotherapeutin bescheinigte zwar einen kleinen Erfolg, was zumindest die sensorische Überempfindlichkeit des Kindes anging, aber motorisch konnte man keine Fortschritte erkennen. Eher im Gegenteil-wenn man ehrlich war, wurde die Gehstrecke von Nick immer kürzer, das Gangbild immer unsicherer.

Die Blutuntersuchungen, die von unserer Neurologin dann an verschiedene Labore in Auftrag gegeben wurden waren ebenfalls alle unauffällig. Das brachte Erleichterung, aber mittlerweile war Nicks Zustand so verschlechtert, dass wir nicht mehr daran glauben konnten, dass es nichts Organisches war. Unsere Neurologin war bezüglich der Vorstellungstermine sehr geizig! Die verschiedenen Untersuchungen hatten wir alle selbst organisiert, nun strich sie uns auch noch den eigentlich für den Sommer geplanten Kontrolltermin und bestellte uns für November 2011 erst wieder ein!!! Schließlich sei ja alles bislang unauffällig, die Ergotherapie liefe ja-alles sei bestens! Alles bestens? Wir verzweifelten langsam. Setzten alle Hebel in Bewegung. Nick wurde überall angemeldet, wo wir uns Hilfe und Förderung erhofften: beim psychomotorischen Turnen, bei der Frühförderung, zur Entwicklungsdiagnostik…. Sogar an die Gesellschaft für Sensorische Integration Jean Ayres, Deutschland und International e. V. haben wir uns gewandt mit einem ausführlichen Fragebogen zur Einschätzung, ob nicht doch mehr dahinter stecke, als bloß eine SI. Wir gingen nochmals zur Osteopathie, die stellte auch mehrere Blockaden fest und löste diese, aber es besserte sich kaum.

Mitte Juli platzte uns der Kragen, wir nahmen unser Kind und fuhren einfach hin zu unserer Neurologin ohne Anruf vorher und ohne Termin! Sie musste sich das Kind doch mal ansehen! Wir waren jeden Tag aufs Neue geschockt über den immer schlechter werdenden Zustand von Nick, wie konnte man uns denn so ignorieren?! Man war in der Praxis nicht gerade erfreut, zeigte sich dann aber doch willig, mal kurz nach uns zu sehen. Und, kaum zu glauben, auch Frau Doktor war geschockt! Sofort wurde mit verschiedenen Kliniken Kontakt aufgenommen und ein Termin schon für den nächsten Tag (leider ein Freitag) zur sofortigen stationären Aufnahme vereinbart. Wie immer redete sie nicht viel, aber sie murmelte etwas von Status epilepticus. Ich war verwirrt, denn aufgrund meiner medizinischen Vorkenntnisse wusste ich, was damit gemeint war, aber wie sollte mein Kind bei wachem Verstand einen Status haben- naja, bei Kindern ist ja immer alles anders.

So packten wir unsere Sachen und fuhren am nächsten Tag nach Münster in die Kinderklinik, dort waren wir ja bereits angemeldet. Aber auch bei Kindern verlief die Organisation genauso chaotisch wie man es gewohnt war im Krankenhaus. Alles dauerte! Aber gegen Mittag erhielten wir endlich das geplante EEG. Nick wurde hierzu sediert und schlief nach etwas längerem Kampf endlich ein. Total erschöpft kamen wir auf die Station zurück. Nach langer Zeit des Wartens konnte man erneut Entwarnung geben bzgl. des EEG. Im Schlaf war bislang keine Krampfneigung zu sehen. Aber leider hatte man auch schlechte Nachrichten für uns: das MRT von Ende Mai, das wir ambulant hatten durchführen lassen und welches man als unauffällig befundet hatte, hatte man hier erneut eingelesen und fand es alles andere als unauffällig. Weil wir ehrliche Worte wollten, rückte man gleich mit den damit einhergehenden Verdachtsdiagnosen raus- nämlich die Leukodystrophien. Wir waren geschockt, aber trotzdem war da noch immer ein kleiner Funke Hoffnung, dass man sich irrte.

Über das Wochenende wurden wir entlassen, denn alle nötigen Untersuchungen konnten erst zu Beginn der nächsten Woche stattfinden. Das Wochenende war das bislang schlimmste unseres Lebens. Nick war noch schlechter zurecht als sonst- vielleicht aufgrund der sedierenden Medikamente, die er in Münster bekommen hatte. Er wirkte sehr abwesend und noch müder. Wir hatten ja Unmengen an Informationen aus dem Internet gesaugt, nachdem man uns die Verdachtsdiagnose mitgeteilt hatte, sodass alles, was Nick an diesem Wochenende an Veränderungen bot, schon als Zeichen der Erkrankung gedeutet wurde und als zudem noch deutlich schnelles Voranschreiten dieser! Also wurde das Wochenende dominiert von der Trauer über unser schwerkrankes Kind, das wir bald glaubten, ganz verlieren zu müssen. Insbesondere der Samstag gestaltete sich bei mir so düster. Am Sonntag schöpfte ich seltsamerweise eine ungeahnte Hoffnung, dass Nick diese grauenvolle Krankheit doch nicht haben sollte. Diese hielt mich aufrecht.

Auch noch am nächsten Tag, als wir wieder mit Sack und Pack das Krankenhaus betraten. Von geplanter, guter Organisation leider keine Spur!! Noch dazu war ich erschüttert, dass Nick nicht wie erwartet ein EMLA-Pflaster auf die kleine Hand bekam, sondern ihm eiskalt der Venenzugang ohne jede Vorwarnung und Lokalanästhesie in die Haut gelegt wurde. Die Tränen flossen, mir brach das Herz. Dann sollten wir raus gehen, denn Nick erhielt eine Liquorpunktion. Er kam rasch zurück, war nach Dormicum und Propofol noch etwas benommen, aber schlief leider nicht wirklich. Das Problem war jetzt, er sollte die nächsten 24 Stunden ja liegend verbringen und den Kopf nicht heben. Der kleine Schatz konnte das natürlich nicht verstehen, auch wenn wir es ihm immer wieder erklärten, dass ihm doch sonst höllische Kopfschmerzen drohten. Die bekam er wirklich nicht- unser Glück! Auch hatten sich meine positiven Gedanken vom Vortage wohl ausgewirkt und erstaunlicherweise war kein erhöhtes Protein im Liquor. Für uns war das eigentlich eine Entwarnung, denn das machte eine Leukodystrophie sehr sehr unwahrscheinlich, sagten alle Internetseiten und auch die Experten. Wir schöpften neue Hoffnung….

Die Untersuchungen erfolgten schleppend. Am Dienstag passierte den ganzen Tag erst mal gar nicht- nicht einmal eine Visite. Am Nachmittag wurde dann die Nervenleitgeschwindigkeit an Nicks Extremitäten gemessen. Leider war diese verlangsamt, was wieder all unsere Hoffnungen drückte.

Der alles entscheidende Tag war dann der Mittwoch, an dem das MRT wiederholt werden sollte, diesmal mit Kontrastmittel. Nick musste wieder nüchtern bleiben den ganzen Morgen und es hieß wieder Warten. Die Organisation war wieder mäßig und es gab nicht wie gedacht eine Vorlaufzeit von einer halben Stunde, um ihm schon einen Beruhigungssaft zu geben, sondern plötzlich hieß es, sofort loszufahren mit Bett und Geräten und Kind auf dem Arm bis ins Nachbargebäude. Nick bekam seine Medikamente und schlief ein. Wir warteten draußen und drückten seinen Teddy Finn so fest wir konnten und beteten und hofften auf ein positives Ergebnis. Wir sprachen nur wenige Worte zueinander in dieser halben Stunde….

Nick schlief diesmal sehr sehr tief als er aus der Untersuchung kam, weil man ihm noch Dormicum nachgespritzt hatte. Irgendwie glaubte ich immer noch tief in mir drinnen an einen guten Ausgang, obwohl so vieles dagegen sprach, aber ich hoffte so sehr auf die Kraft der positiven Gedanken. Wir warteten in Nicks Zimmer, der noch immer schlief, als die Visite kam. Vor der Tür hielt man inne, wahrscheinlich mussten auch die Ärzte vorher noch einmal durchatmen. Man sprach sehr langsam… für mich ging alles wie in Zeitlupe… und dann fiel der Satz… " lässt das MRT eigentlich keine Zweifel offen, dass es sich doch um eine metachromatische Leukodystrophie handelt" … wir brachen zusammen… Nick erwachte… wir nahmen ihn in unsere Arme... packten unsere Sachen und verließen das Krankenhaus.



….nach der Diagnose (Juli 2011)

Da standen wir nun auf dem Trümmerhaufen unserer zusammengebrochenen Welt mit unserem kleinen Schatz im Arm. Zuhause angekommen hieß es erst mal stark sein und überlegen, wie es weiter gehen sollte. Wir mussten es schließlich der gesamten Familie sagen. Allen mussten wir diese schreckliche Botschaft überbringen, die bedeutete, dass uns unser Kind nach und nach genommen würde. Wir baten also die Großeltern zum Gespräch zu uns nach Hause. Es war für alle sicherlich die schlimmste Nachricht ihres Lebens. Es war eher still, jeder riss sich auf seine Weise zusammen. Die Schreie der Verzweiflung kamen meist nachts, wenn das Kind schon im Bett war.

Im Krankenhaus hatte man uns mal wieder keine Hilfe mit auf den Weg gegeben, also ging die Suche los nach einem sozialen Netz, das uns nun auffangen würde, nach Menschen, die Ähnliches erlebt hatten und uns Unterstützung bieten konnten. Es musste ja so viel Organisatorisches erledigt werden. Diese Diagnose stellte schließlich unser gesamtes Leben auf den Kopf! In absehbarer Zeit würde unser Kind all seine Fähigkeiten verlieren und komplett auf unsere Hilfe angewiesen sein. Wir mussten also eine Lösung finden, permanent für ihn da sein zu können bei weiterhin gesicherter Existenz. Also häuften sich Anträge bei Versicherungen und Ämtern. So konnten wir wenigstens etwas tun! Rein medizinisch hatte man uns ja alle Hoffnungen genommen, noch irgendwie handeln zu können. Natürlich nahmen wir das nicht einfach so hin und setzten uns mit den forschenden Zentren Deutschlands in Verbindung, um den aktuellen Stand der Wissenschaft bezüglich der Therapieoptionen dieser furchtbaren Erkrankung abzufragen. Wir führten zahlreiche Telefonate, um die Unterlagen aus Münster einzufordern und an verschiedene Unikliniken zu verschicken. Schließlich nach einigen Wochen führte uns die Suche nach Tübingen. Dort führten die Strippen der internationalen Forschungen zur MLD zusammen und man fühlte sich zuständig für unser Anliegen. Nach Durchsicht der Befunde schlug man uns einen stationären Aufenthalt vor, allerdings befanden wir uns mitten in den Sommerferien (2011), sodass einige der notwendigen Mitarbeiter ihren verdienten Sommerurlaub machten. Es war ein Team aus Psychologen, Physio- und Ergotherapeuten sowie Ärzten erforderlich, um den genauen Gesamtstatus zu erheben. Die einzige verfügbare Therapie bestand in einer Stammzelltransplantation, welche eine recht langwierige und vor allem extrem belastende Therapie ist. Deshalb war im Vorfeld sehr genau zu prüfen, ob man Nick eine solch harte Prozedur zumuten würde. Zu diesem Zwecke war es erforderlich, genau heraus zu arbeiten, wann die Erkrankung begonnen hatte und in welcher Geschwindigkeit sie voranschritt. Mit einer Stammzelltransplantation konnte man zwar das Fortschreiten der Erkrankung stoppen, jedoch konnte dieser Therapieerfolg erst ca. ein bis zwei Jahre nach Transplantation erzielt werden. Und das war die Crux, denn würden wir Nick jetzt therapieren, könnten wir im besten Falle seine Erkrankung auf dem Niveau einfrieren, auf dem er sich in einem Jahr befände.

Wir bekamen einen stationären Aufnahmetermin für den 14.9.2011. Bis dahin waren es noch einige Wochen. Diese Zeit nutzten wir, um die notwendigen Anträge bei Ämtern und Versicherungen zu stellen. Nick brauchte eine Pflegestufe und verschiedene Hilfsmittel. Noch schaffte Nick gelegentlich noch die kurzen Wege von einem Zimmer ins andere, meist aber wurde er getragen. Er konnte sich aber noch allein auf einem Stühlchen aufrecht halten oder auf dem Boden sitzen, um zu spielen. So war er noch in der Lage, mit seiner Duplo- Eisenbahn oder ein leichtes Gesellschaftsspiel mit sehr viel Hilfe zu spielen. Seine Hände gehorchten ihm nicht mehr, seine Greifbewegungen waren sehr verzittert. Auch fehlte ihm die Kraft, die Duplosteine aufeinander zu drücken. Aber mit Unterstützung hatte er noch Freude am Spielen. Was uns sehr störte, war der extreme Speichelfluss, seine Kleidung war ständig durchnässt und wir mussten Nick häufiger am Tag die Kleidung wechseln. Nach viel Überredung ließ er sich irgendwann doch darauf ein, ein Tüchlein um den Hals zu tragen, welches den Speichel auffing, sodass wir nur noch dieses wechseln mussten. Das brachte Erleichterung, denn Nick hasste das Umziehen förmlich. Anfangs störte ihn nur das Über-den -Kopf-ziehen, sodass wir meist Jäckchen anzogen. Später aber wurde auch das Wechseln der Jäckchen ein Problem, weil sich eine Spastik bzw. Kontrakturen der Arme entwickelten.

Es war klar, wir mussten Nick weiterhin wickeln und waschen. Also bauten wir unsere Wickelkommode um, denn Nick war ordentlich gewachsen und passte kaum noch der Länge nach darauf. Sonst kamen wir zu jenem Zeitpunkt im Sommer noch ganz gut mit den Dingen zurecht, die wir sowieso noch hatten wie dem Buggy und dem Tripptrapp- Stuhl. Das Gitter-Bettchen wurde allmählich zu kurz, denn Nick hatte die Größe von einem Meter überschritten. Somit beantragten wir als erstes Hilfsmittel ein Pflegebett. Dieses geschah über ein benachbartes Sanitätsgeschäft, in dem wir zunächst nachgefragt hatten, ob man sich dort mit Kinder-Pflegehilfsmitteln auskannte. Man bejahte und kam zu einem Beratungsgespräch nach Hause. Diese Beratung bestand aber lediglich darin, uns Internetseiten zu nennen, auf denen wir uns selbst über alle möglichen Produkte informieren konnten. Also auch diesbezüglich ließ man uns wieder im Regen stehen und alle Informationen allein beschaffen. Wir suchten ein Bett im Internet aus, das uns gefiel und ließen dann einen Kostenvoranschlag erstellen, der zur Versicherung ging.

Der MDK meldete sich zu einem Besuch an, um unseren Antrag auf eine Pflegestufe zu beurteilen. Diesmal hatten wir Glück und es war ein wirklich netter ärztlicher Kollege, der uns sehr wohlgesonnen war und uns gleich die Pflegestufe II zuteilte.

Unsere Neurologin hatte in einem kurzen Telefonat, das sie mit uns führte, nachdem sie die Diagnose erfahren hatte, empfohlen, die Ergotherapie nun zugunsten einer Physiotherapie abzubrechen, sodass wir uns nach einer neuen Therapeutin umsahen, welche sich mit diesem Krankheitsbild auskannte. Wir kamen zu Sandra R., ein wahrer Glücksgriff, wie sich später noch herausstellen sollte! Anfangs hieß es aber erst mal, sich gegenseitig kennen zu lernen. Nick machte schon noch Krabbelübungen auf der schiefen Ebene und machte Übungen in einem Hindernis-Parcours, war aber deutlich schneller erschöpft als gesunde Kinder. Des Weiteren begann die Frühförderung, die die Ergotherapie ersetzen sollte. Diese fand bei der Frühförderstelle der Lebenshilfe statt bei Frau K.. Schon wieder ein fremdes Gesicht für uns. Wieder erzählten wir unsere Geschichte und mussten uns einer neuen Person anvertrauen. Nick durfte hier die hübschen Zimmer nutzen, um zu spielen. Er konnte hier anfangs noch mit Hilfe kleine Treppen hochsteigen und sich noch im Raum an der Hand gehend bewegen. Also spielten wir in der Kinderküche und im Kaufladen.

Außerdem nahmen wir Kontakt zum ambulanten Hospiz- Dienst und zur Weissen Wolke auf. Wieder erzählten wir unsere traurige Geschichte, fanden Verständnis und tröstende Worte bei Menschen, denen wir zuvor noch nie begegnet waren. Das war eine sehr ungewöhnliche Erfahrung in dieser Zeit, dass man sich mit sehr vielen Menschen vertraut machte, die man eigentlich gar nicht kannte. Und es war häufig eine sehr einseitige Darlegung der Lebenssituation mit allem was dazu gehörte, mit allen Problemen und mit allen Gefühlen….. es war eigenartig und auch manchmal recht erschöpfend, andererseits tat es gut, nicht allein zu sein. Plötzlich ergab sich jedoch ein ganz neues Netz von Menschen um uns herum, denen wir regelmäßig begegneten, die zu unserem Lebensmittelpunkt wurden wie früher die Arbeitskollegen. Auch Nick fiel es schwer, sich immer wieder auf all die neuen Umgebungen und Menschen einzustellen. Für einen so kleinen Wurm mit Erkrankung war das harte Arbeit! Aber er meisterte es alles vorbildlich und gab sich alle Mühe, das zu tun, was man von ihm erwartete. Er war immer schrecklich schnell erschöpft. Er brauchte seine Phasen der Erholung. Allerdings hatte man auch den Eindruck, dass es ihm gut tat, ihn auch ein wenig zu fordern in gesunder Dosierung. Wir mussten also eine gute Mischung aus beidem finden, um ihn zu fordern, aber nicht zu überfordern. Wir entschlossen uns also, Nick auch wieder in den Kindergarten zu bringen, jedoch nur für zwei bis drei Stunden am Tag und ohne den Stress am Morgen, der ihn immer sehr belastet hatte. Er sollte morgens sein Tempo vorgeben. Dann konnte er, so fanden wir, von dem Zusammensein mit den anderen Kindern auch sehr profitieren. Und unser kleiner Engel wurde mit Liebe empfangen im Kindergarten, sowohl von den Erzieherinnen als auch von den anderen Kindern. Insbesondere die jüngeren Mädchen kümmerten sich rührend um den kleinen Prinzen. In den warmen Monaten konnte Nick noch mit den anderen Kindern im Sand sitzen und spielen. Später gaben wir einen Buggy mit in die Einrichtung, in dem er geschoben wurde, wenn die anderen Kinder draußen umher rannten. Unsere Physiotherapeutin Sandra wurde in jeder Hinsicht zu einer treuen Beraterin! Sie hatte immer wieder neue Ideen für den Alltag, knüpfte weitere hilfreiche Kontakte und setzte sich für uns bei den Versicherungen ein, damit wir unsere Hilfsmittel bekamen. So hatte sie sehr früh ein Therapiekonzept für uns heraus gesucht, was sie selber zwar nicht einsetzen konnte, weil sie die Fortbildung nicht hatte, aber sie schrieb es uns auf, damit wir einen entsprechenden Therapeuten suchen konnten. Meine erste Anlaufstelle war ein befreundeter Logopäde, der sich aber auch in den Sommerferien befand. Ich hielt ihn für sehr kompetent und zweifelte nicht daran, dass er diese Fortbildung haben müsste. Also wartete ich geduldig, bis er aus dem Urlaub zurück war. Leider allerdings hatte ich mich getäuscht und es gab lediglich zwei Physiotherapeutinnen in Hamm, die nach Castillo- Morales arbeiteten. Aber er konnte den Kontakt zu einer dieser Therapeutinnen herstellen. So landeten wir bei Britta B. mit dem Ziel, Nicks Gesichtsmuskulatur zu kräftigen, um den Speichelfluss zu reduzieren und das Schlucken lange zu erhalten. Hierzu wurde mit Vibrationen gearbeitet, um die mimische Muskulatur zu stimulieren. Nick mochte es nicht so gerne, dass wieder eine fremde Person an ihm "rumfummelte". Aber nach und nach wurde auch Britta ihm vertrauter und er meckerte von Mal zu Mal weniger. Unsere kleine Maus machte das alles vorbildlich und fügte sich in seinen neuen Tagesablauf wie auch in die immer neue Lebenssituation, mit der er konfrontiert wurde. Denn nicht nur wir mussten uns adaptieren an die immer neuen Rückschritte seiner Entwicklung, sondern auch er musste damit zurechtkommen, dass ihm immer weniger gelang und er auf immer mehr Hilfe angewiesen ist. Ich hatte den Eindruck, dass er sich mit der Situation, nicht mehr allein laufen zu können, besser klar kam, als mit dem Verlust der Sprache. Zum Beispiel machten wir uns noch im Sommer 2011 auf den Weg, um einen größeren Buggy für ihn auszusuchen und ich erklärte ihm, wir bräuchten einen neuen Buggy, weil ihm das Laufen so schwer fiele. Darauf sagte er: " Nein, weil ich ein Baby bin!" In dieser Rolle des Babys fühlte er sich wohl, er wollte schon früher nicht der große Junge sein. Also konnte er es gut akzeptieren, getragen zu werden. Aber als die Sprache so sehr verloren ging, dass wir ihn nicht mehr verstanden, frustrierte das Nick unglaublich. Diese Einschränkung konnte er auch nicht durch etwas anderes kompensieren. Weil er schon immer sehr höflich in ganzen Sätzen gesprochen hatte mit "bitte" und " danke" , verstanden wir gerade den wichtigen Teil des Satzes immer schlechter, denn der kam meist am Ende! Dann wurde die Stimme meist sehr dünn und brach ab, sodass er sich wiederholen musste und das ärgerte ihn, weil es eine große Anstrengung war, den ganzen Satz zu wiederholen. Also reduzierte sich seine Sprache weiter auf nur noch einzelne Worte "Ja", "Nein", "Mama", "Papa", "Durst". Diese Worte wurden zu Silben "Ma", "Pa", "Du-a" für Durst. Wir kannten unseren Schatz sehr gut. Vieles konnten wir aus dem Kontext verstehen. War dies mal nicht so, war er schrecklich enttäuscht. Bis zum Ende des Jahres sprach Nick kaum noch, er hauchte nur noch Anfangsbuchstaben. Wenn er das ganze Wort "Mama" aussprach, freute ich mich unermesslich!

Der Aufenthalt in der Uniklinik Tübingen im September 2011 dauerte wie geplant drei Tage. Wir beantworteten unendlich viele Fragen und Nick wurde spielerisch einigen Tests unterzogen. Unsere mitgebrachten MRT- Aufnahmen wurden ausgewertet. Das Abschlussgespräch am Freitag lieferte uns kein überraschendes Ergebnis, als man uns sagte, dass man von einer Stammzelltransplantation abraten würde. Wir hatten damit gerechnet, uns nichts vorgemacht, dennoch war der letzte Funken Hoffnung verglimmt…. Wir hatten aber die Gewissheit, wirklich alles ausgeschöpft zu haben, was möglich war! Das schuldeten wir unserem Liebling und das war auch wichtig für uns selbst, damit wir gänzlich mit dem Thema abschließen konnten. Zurück gekehrt nach Hause war das nächste wichtige Projekt die Gestaltung von Nicks viertem Geburtstag Ende Oktober. Er hatte sich immer ein Fahrrad gewünscht zu seinem vierten Geburtstag, das hatte er schon vor seiner schweren Erkrankung gesagt, weil doch in einem seiner Lieblingsbücher der kleine Junge auch ein Fahrrad zum Geburtstag bekam. Und auch jetzt ließ er keinen Zweifel daran offen, dass er sich auch am meisten ein solches wünschte!!! Aber unser kleiner Schatz würde auf einem normalen Rad nicht sitzen können, geschweige denn fahren. Also informierten wir uns über Therapiefahrräder und gerieten schließlich an einen endlich kompetenten Reha-Berater, der uns in der Fahrradfrage beriet, aber auch bezüglich aller anderen folgenden Hilfsmittel. Also fanden wir ein mögliches Exemplar und bekamen ein solches Rad zwei Wochen vor Nicks Geburtstag zum Ausprobieren nach Hause. Auch über den Geburtstag hinweg durfte das Rad leihweise bei uns verbleiben. Wir konnten es Nick zwar nicht wirklich zum Geburtstag schenken, aber das Rad war da und so blieb Nick eine Enttäuschung über ein fehlendes Fahrrad erspart. Einige Wochen nach Nicks Geburtstag bekamen wir sogar einen persönlichen Anruf von der Versicherung, dass man uns das Fahrrad aus Kulanz genehmige. Daran hatte auch mal wieder unsere liebe Sandra ihren Verdienst, die sich telefonisch dafür eingesetzt hatte! Dieser Kampf für das Fahrrad hatte mich viel Kraft gekostet und so schossen mir Tränen in die Augen, als man es uns endlich zusagte. Ich konnte meinem Schatz endlich sagen, dass es nun sein Fahrrad war!!! Auch meine Arbeitskolleginnen beteiligten sich daran, unserem kleinen Schatz zu seinem Geburtstag seinen größten Wunsch zu erfüllen und machten eine Sammlung in der Klinik, bei der eine stolze Summe zusammenkam!!! Als Dankeschön verteilten wir Fotos mit unserem strahlenden Engel auf seinem Fahrrad auf allen Stationen.

Nun blieb noch die Frage, wie wir Nicks Geburtstag feiern würden. Zu seinem dritten Geburtstag hatte es noch keinen Kindergeburtstag gegeben, weil ich ihn noch für zu klein hielt und unter festen Vorstellung, dass es früh genug wäre, ab dem vierten Geburtstag damit anzufangen, so wie die meisten Eltern. Keiner hatte damals geahnt, dass sich bis dahin unser ganzes Leben derartig geändert hätte! Aber sollte ich jetzt meinem Kind seine Geburtstagsfeier vorenthalten, nur weil er gehandicapt war? Noch dazu würde dies möglicherweise sein letzter bewusster Geburtstag sein! Also beschlossen wir, auch einen Kindergeburtstag zu organisieren und ich fragte Nick, wen er einladen wollte. Er sagte mehrfach klar heraus "Fabienne", die ohnehin seine beste Freundin gewesen war, und "Elias". Darüber war ich allerdings etwas verwundert, denn Elias war zwar gleichzeitig mit Nick in den Kindergarten gekommen, aber die beiden hatten wegen der sehr unterschiedlichen Entwicklung keinen wesentlichen Kontakt im Kindergarten. Ich vermutete jedoch, dass Nick Elias irgendwie bewunderte und ihn als großes Vorbild sah. Ich zerbrach mir den Kopf, wie man am besten einen Geburtstag für ein motorisch eingeschränktes Kind gestaltete- die meisten der üblichen Kindergeburtstagsspiele schienen mir als wenig geeignet. Außerdem sollte auch die blinde Fabienne Gefallen finden an dem Programm, sodass auch Aktionen ausfielen, die rein visueller Natur waren, wie z.B. Puppenspiele. Schließlich entschieden wir uns für einen Piratengeburtstag mit Schatzsuche und Piratengeschichte. Alles war mit Cäpt´n Sharky Partyzubehör geschmückt. Ich hoffe so sehr, der kleine Schatz hatte viel Freude an seinem ersten und möglicherweise letzten, bewussten Kindergeburtstag!!!

So nach und nach fehlte uns nicht nur ein passendes Bett für unsere Maus, sondern auch der Buggy stellte sich als nicht mehr ausreichend heraus, da aufgrund der fehlenden Kraft in den Beinchen, die Füße immer von der nur sehr schmalen Fußstütze rutschten und man Gefahr lief, ihm die Füßchen zu brechen, wenn man den Wagen einfach voran schob. Über unsere Physiotherapeuten Sandra bekamen wir Kontakt zu Reha, Kids& Care und Herrn V. aus Münster. Endlich stimmte die Beratung und Herr V. überzeugte mit viele Jahren Erfahrung bei der Kinderversorgung. So suchten wir einen Reha- Buggy und einen Rollstuhl aus, der beantragt wurde. Auch ein anderes Pflegebett bestellten wir über Herrn V., denn nach mehr als zwei Monaten Prüfung hatte die Pflegeversicherung unseren ersten Kostenvoranschlag abgelehnt. So bekamen wir nach ca. drei Monaten Wartezeit im Dezember endlich das große Bett für Nick. Es hatte eine Größe von 1x 2 Metern, sodass ich auch in schwierigen Nächten neben meinem Engel schlafen kann. Rundherum sind Gitter, die man einzeln runterlassen kann. Wir konnten Nicki nun viel schonender Ablegen und herausheben. Auch das morgendliche Waschen machten wir nun auf dem Bett. Es sah trotz all der Nützlichkeit sehr kindgerecht und hübsch aus. Allerdings nahm es recht viel Platz im Kinderzimmer ein, aber Nick konnte sowieso nicht mehr auf dem Boden spielen, denn mittlerweile hatte er nicht nur die Fähigkeit des Laufens verloren, sondern auch das freie Sitzen ging plötzlich nicht mehr. Also brauchten wir auch dringend einen neuen Stuhl zum Essen. Wir verabredeten einen Termin mit Herrn V. und suchten ein passendes Modell aus. Da aber die Genehmigung bei der Krankenkasse wieder einige Wochen in Anspruch nahm, hatten wir größte Not, eine Sitzmöglichkeit für Nick sowohl im Kindergarten als auch Zuhause zum Essen zu finden! Durch einen Zufall fand sich eine liebe Arbeitskollegin meines Vaters, die uns zwei gebrauchte Hochstühle zur Verfügung stellte, die zumindest eine kurze Zeit überbrücken konnten. Doch auch bald fand Nick auch das Sitzen in diesen Stühlen sehr belastend, sodass das Füttern hierin zu viel Kraft allein zum Sitzen für ihn forderte, dass die Nahrungsaufnahme immer geringer wurde und eher in einem Kampf mündete. Da in der Zwischenzeit der Therapiestuhl zwar genehmigt, aber noch immer nicht eingetroffen war, mussten wir Nick über Wochen auf dem Schoß sitzend Nahrung anbieten. So bekam er wenigstens eine kleine Portion runter. Sein Appetit wurde immer geringer und damit einhergehend auch das Gewicht! Trotz des Längenwachstums nahm unser Schatz mehr und mehr ab und wurde richtig mager. Als Kleinkind war er so propper gewesen, dass man ihn immer eher bremsen musste beim Essen. Aber nun mochte er nicht mal mehr seine geliebten Kekse oder Schokobons. Da auch das Schlucken nur noch sehr eingeschränkt möglich war, mussten wir den Speiseplan ohnehin sehr zusammenstreichen. Alles musste sehr klein geschnitten oder in Form von Püree sein. Wir suchten außerdem nach Pulvern und Essenszusätzen, die in die kleinen Mengen, die Nick zu sich nahm, noch ein paar mehr Nährstoffe zusetzen konnten. Nach langer Suche im Internet fanden wir heraus, dass man sein geliebtes Mineralwasser geschmacksneutral mit Maltodextrin versetzen konnte, um ihm auch hierüber Kalorien zuzuführen. Zum zweiten rührten wir Dilsana in seine Abendmilch, das waren dann nochmal 100 kcal mehr.

Mitte Januar traf dann der Therapiestuhl ein, doch man hatte das Gefühl, als hätte sich Nick das Essen mittlerweile regelrecht abgewöhnt, weil es für ihn nichts als Anstrengung bedeutete. Daran konnte auch der Stuhl nicht mehr viel ändern! Als Nick dann nur noch ein Gewicht von etwas mehr als 14kg auf die Waage brachte, fassten wir den Entschluss, endgültig eine PEG- Sonde legen zu lassen. Wir hatten mit vielen Krankenhäusern und Ärzten Kontakt aufgenommen, um die beste Methode in Erfahrung zu bringen. Doch von der Resonanz aus Tübingen waren wir enttäuscht, obwohl man uns nach unserem Aufenthalt mehrfach gesagt hatte, wir könnten uns bei Fragen und Problemen immer melden. Naja, dieses Angebot hatte man dann wohl in der Zwischenzeit vergessen! Meine Fragen konnten zwar letztlich dann nicht alle geklärt werden, aber die Zeit drängte und ein weiterer Aufschub der Sondenanlage war nicht möglich. Das Clemenshospital in Münster stand uns allerdings hilfsbereit zur Seite. Wir erhielten einen Termin im März.

Eine Woche zuvor Mitte März machten wir noch einen Therapieblock in der Klinik für manuelle Therapie in Hamm. Es sollte so eine Art ambulante Reha über eine Woche sein. Ich hatte so viel Gutes gehört über die Behandlung von Spastiken und Kontrakturen bei Kindern! Allerdings brachen wir die Behandlung nach drei Tagen ab, denn diese Art der Behandlung war selbst für mich zu brachial! Dagegen war Vojta ein Spaziergang. Nick weinte nicht nur, er schrie regelrecht und mir blutete die gesamte Behandlungszeit über das Herz! Als dann am Mittwoch richtige Wunden in den Ellenbeugen zu sehen waren, weil dort die Haut dem heftigen Gezerre nicht hatte Stand halten können, war das Grund genug für uns, diese Behandlung nicht fortzuführen. Einen Erfolg hatte man erzielt, denn die Ellenbogengelenke konnte Nick nun wieder bis zu 90° strecken, aber der Weg dorthin war uns zu schmerzhaft! Für die Pflege und das Anziehen von Nick brachte uns das auch keinen wesentlichen Vorteil.

Die Atmosphäre im Clemenshospital war wie immer herzlich, als wir dort Ende März eintrafen! Dennoch war der Aufenthalt dort eine sehr harte Zeit! Das Ganze setzte unserer kleinen Maus wirklich zu! Die Narkose verwandelte Nick völlig. Er war danach völlig fern von dieser Welt und schrie die ersten 24 Stunden nach der OP kontinuierlich vor Schmerzen. Danach wurde es auch nur in ganz ganz kleinen Schritten besser. Jeden Tag wurden die Beschwerden ein wenig besser und er erbrach nicht mehr ganz so viel. Zwei Tage nach der OP schenkte Nick uns sein erstes Lächeln. Aber die neurologischen Veränderungen gingen nicht völlig zurück auf das alte Niveau, leider. Wie befürchtet hatte die Narkose die Erkrankung voran getrieben. Nick hatte nun ständig diese motorische Unruhe, die ihn auch nachts nicht schlafen ließ. Zuvor konnte Nick in Bauchlage noch das Köpfchen heben und drehen. Auch dieses war ihm danach nicht mehr möglich. Auch sein Magendarmtrakt war gequält von der Nahrungszuvor und Nick hatte wieder Koliken, wie er sie im Alter von drei Monaten gehabt hatte. Wir konnten nur hoffen, dass sie diesmal auch nach spätestens drei Monaten wieder aufhörten. Das Erbrechen wurde unter Antra- Gabe ein wenig geringer, aber wir hatten schon Mühe, die richtige Verteilung und Geschwindigkeit der Nahrungsgabe herauszufinden. Jeder Tag war ein neues Experiment. In den ersten Tagen zweifelte ich so sehr an meiner Entscheidung für die PEG und quälte mich so sehr mit dem Gedanken, warum ich das meinem keinen Schatz angetan hatte, aber was hatte ich für eine Wahl? Keine! Die Alternative wäre gewesen, dass Nick nach und nach verhungert wäre. Aber die ewigen Schmerzen und das Erbrechen schienen mir anfangs nicht wirklich besser. Wegen der massiven motorischen Unruhe und wohl auch ersten Krampfanfälle suchten wir unsere Kinderneurologin auf. Wir entschlossen uns gemeinsam zu einem Therapieversuch mit Keppra unter der Annahme, dass diese unkontrollierten Bewegungen der Arme und Beine kleine fokale Anfälle waren. Das EEG war ja schon seit einem Jahr verändert und es war nur eine Frage der Zeit gewesen, bis die Anfälle auch zu sehen waren. Ich machte Videoaufnahme von all diesen Ereignissen und spielte sie der Neurologin vor. Sie konnte uns allerdings auch nicht sicher sagen, was diese nestelnden, wühlenden, zum Teil kreisförmigen Bewegungen waren- leider! Nick konnte sie selbst nicht kontrollieren, sie schienen ihn auch sehr zu stören, konnte aber nicht damit aufhören! Häufig führten diese Bewegungen dazu, dass er sich selbst im Gesicht kratzte und weh tat. Wenn man ihm stattdessen ein Schmusetuch oder Kuscheltier in die Hand gab, dann brachte das nur kurz Ablenkung. Nur wenige Zeit später waren die Hände wieder im Gesicht. Mit den Beinen war Nick insbesondere in der Nacht sehr unruhig, es erinnerte alles an ein Restless legs Syndrom. Noch dazu zeigten sich vermehrt Myoklonien. Die Nächte wurden zur Belastungsprobe. Ich hoffte so sehr, dass es sich nach der OP nach und nach wieder einrenken würde, aber da täuschte ich mich! Ich musste ständig aufstehen und zu ihm gehen, in der Hoffnung, ihm mit der nächsten Lageänderung endlich eine angenehme Schlafposition zu schaffen. Manchmal zog sich das über Stunden. Nick konnte sich ja nun leider nicht mehr mitteilen, um mir zu sagen, was ihm fehlte…..