Angeline

Unsere Angeline wurde am 01. Oktober 1997 per Kaiserschnitt geboren, sie war ein kleiner Engel, ein süßes, gesundes Baby, unser Sonnenschein! Damals hätte niemand gedacht, was noch auf uns zukommt! Angeline wuchs heran, entwickelte sich ganz normal. Als sie 6 Monate alt war, gingen wir zu einer Krabbelgruppe. Die anderen Kinder waren ungefähr in Angelines Alter und da bemerkte ich zum ersten Mal, daß sie noch nicht das konnte, was viele andere Babys schon konnten. Angeline lag auf dem Rücken und war so zufrieden! Andere drehten sich schon oder fingen bereits an zu krabbeln.
Kurz vor ihrem ersten Geburtstag holte Angeline dann aber wieder auf, mit 10 Monaten robbte sie, mit 11 Monaten konnte sie krabbeln und zog sich am Tisch hoch. Dann kam Angelines 1. Geburtstag. Wir waren stolz, ein so süßes Mädchen zu haben, ich putzte sie ganz schick raus mit einem selbstgenähtem roten Cordkleidchen und machte ihr zwei kleine Zöpfchen. Angeline krabbelte flink und lief sogar schon um den Tisch. Jemand sagte: "Jetzt dauert es nicht mehr lange und Angeline kann laufen !" Ich weiß nicht, warum ich in diesem Moment so dachte, aber ich konnte mir nicht vorstellen, daß Angeline wirklich irgendwann frei laufen kann! Leider behielt meine innere Stimme recht. Als Angeline mit 17 Monaten immer noch nicht allein lief, bekam sie Krankengymnastik.
Ich wurde sehr ungeduldig, denn die Monate vergingen und Angeline machte kaum Fortschritte. Sie lief zwar an der Hand oder mit riesiger Freude mit ihrem Puppen - Buggy, in dem sie ihren heiß geliebten Teddy spazieren fuhr, nur ganz allein schaffte sie nur ein paar Schritte und fiel dann um!
Kurz vor unserem ersten großen gemeinsamen Urlaub zu dritt, Angeline war bereits 21 Monate alt, fiel mir auf, daß Angeline öfter stolperte, und wieder mehr Hilfe beim Laufen benötigte. Aber ich hatte ja die Hoffnung, daß Angeline im Urlaub auf Mallorca im weichen Sand das Laufen lernen würde. Leider klappte es dort überhaupt nicht und es war schwer, alle anderen Kinder ihren Alters rumlaufen zu sehen! Im Urlaub fing Angeline an, nachts zu weinen. Natürlich dachten wir, daß ist das Ungewohnte und die Umstellung. Aber als wir wieder Zuhause waren, wurde es nicht besser, im Gegenteil. Immer regelmäßiger weinte Angeline, oft stundenlang. Wir wußten uns keinen Rat, zumal nichts sie beruhigen konnte. Sie jammerte immer: "Aua Beine, Aua Bauch, Aua Kopf!"

Ich ging mit ihr von Arzt zu Arzt, doch keiner fand etwas Auffälliges und die meisten glaubten mir sowieso nicht. Einen Monat vor ihrem 2. Geburtstag fing Angeline an, ohne Grund zu stürzen, sie fiel immer direkt auf den Kopf, ohne sich abzustützen. Ich war so verzweifelt, aber noch immer wollte und konnte uns kein Arzt helfen.
Am 01. Oktober feierten wir dann Angelines 2. Geburtstag. Ich hatte ein sehr mulmiges Gefühl, als wir für sie sangen: "Wie schön, daß Du geboren bist, wir hätten Dich sonst sehr vermißt!... Unsere guten Wünsche haben ihren Grund, bitte bleib noch lange glücklich und gesund....!" Angeline hatte einen sehr schönen Tag, obwohl man nun schon merkte, daß etwas nicht stimmt!
Am 19. Oktober 1999 gingen wir dann ins Kinderkrankenhaus. Angeline wurde dort komplett "auf den Kopf gestellt". Ihr wurde sehr viel Blut abgenommen. Es war wahnsinnig schlimm all das mit anzusehen, denn sie weinte vor Angst und Schmerz, und es mußte leider sein. Ein EEG wurde gemacht und dann noch ein Schlaf EEG. Drei Mal wurde Angeline "durch die Röhre" geschoben, zur Kernspintomographie. Erst wurde ein "Kernspin" vom Schädel gemacht, dann vom Lendenwirbelbereich. Für die letzte Kernspintomographie vom Brustwirbelbereich mußten wir auf den Termin eine Woche warten und so durften wir nach bereits drei Wochen Krankenhaus erst mal wieder nach Hause und das ohne ein Ergebnis! Die Ärzte sagten nur: "50 % solcher Fälle bleiben ungeklärt!" Diese Aussage machte mich total fertig, denn ich bemerkte immer mehr, daß Angelines motorische Fähigkeiten mehr und mehr nachließen!
Die eine Woche zu Hause war die Hölle! Ich konnte mit der ganzen Situation nicht mehr umgehen. Zu sehen, wie unser süßes Mädchen immer mehr verlernte, sie jede Nacht weinte und wir ihr nicht helfen konnten, es war grausam! Man kann sich kaum vorstellen, wie sehr es mir das Herz zerriß, wenn Angeline mich nachts durch Tränen ansah, und mit einem flehenden Blick "sagte": "Hilf mir doch endlich, Mama!"
Ich war einfach fertig, ich wußte nur, daß ich das Ganze nicht mehr lange aushalten konnte, das schlimmste war der Gedanke: "50 % solcher Fälle bleiben ungeklärt!"
Ich konnte mir nicht vorstellen, so noch lange weiterzuleben, in solch einer Situation! Dann kam der Tag des dritten "Kernspins". Ich bangte sehr, als sie Angeline untersuchten, für mich stand fast fest, daß die Ursache für Angelines Abbau und Schmerzen am Rücken liegen muß! Der untersuchende Arzt wollte aber noch keine Aussage machen, so hieß es wieder warten. Drei Tage später, es war der 12. November 1999, nahm der schrecklichste Tag unseres bisherigen Lebens seinen Lauf!
Schon morgens kam ein Arzt und wollte nochmals Angelines Blut untersuchen. Ich fragte, warum, und er sagte, es sei ein Ergebnis einer Stoffwechselerkrankung wiedergekommen, aber da sie wahrscheinlich auch eine Blutblase oder ähnliches am Rücken entdeckt haben, sei es sehr unwahrscheinlich, daß zwei so seltene Sachen zusammentreffen. Sie nahmen dann Blut ab, unter anderem auf Verdacht eines eventuellen Tumors!
Ich war am Ende und rief sofort Angelines Papa an. Er kam sofort zu uns ins Krankenhaus. Am Nachmittag war es dann soweit: Zwei Ärzte kamen zu uns, um uns die schreckliche Nachricht zu überbringen!
Sie meinten, sie wissen nun, welche Krankheit Angeline hat: Sie heißt metachromatische Leukodystrophie!
Sehr viel wußten die Ärzte selbst nicht darüber, dafür ist sie einfach zu selten! Und warum mußte es dann gerade unsere Angeline treffen? Auf diese Frage wird es nie eine Antwort geben!
Als uns Angelines "Todesurteil" gesagt wurde, krabbelte sie gerade durch den Raum. Ich nahm sie auf den Schoß und drückte sie und heulte und heulte.......!!!
Es ist mit Worten nicht zu beschreiben, was man in solche einem Moment empfindet! Es gibt eigentlich nicht mehr viel Schlimmeres als zu hören, daß das Kind, was man liebt und was man 40 Wochen lang in sich wachsen gespürt hat, was noch so unschuldig ist, bald nichts mehr kann und sterben wird!
Und nichts auf der Welt können wir tun, um Angeline zu helfen. Wir können nur zusehen, wie sie leidet und sich verändert, obwohl der Schmerz kaum zu ertragen ist! Nur eines konnten wir endlich tun: Angeline ihre schlimmen Schmerzen nehmen. Auf einmal glaubten uns die Ärzte die Schmerzen Angelines und auch ihr nächtliches Weinen. Tagelang sah ich unseren kleinen Engel nur noch durch einen Tränenschleier. Die Tränen flossen so aus mir heraus, ich konnte nichts dagegen tun! Es tat so weh, Angeline zu sehen, wie sie mit ihrer Puppe spielte, mich anlächelte und zu wissen, daß sie das alles bald nicht mehr kann!
Und leider ging es genauso schnell, wie es uns vorausgesagt wurde. Einen Monat nach Diagnosenstellung konnte Angeline schon nicht mehr laufen und krabbeln. So wurde das Weihnachtsfest 1999 ein Tag, an dem wir uns nicht mehr so unbeschwert freuen konnten, wie all die vorhergehenden Jahre. Einen Monat später sprach Angeline schon ihre letzten Wörter. Es war sehr schlimm für mich, ihre zarte Stimme nicht mehr zu hören, kein Rufen nach "Mama" mehr, es tat sehr weh! Aber Angeline ist einfach wunderbar: sie versuchte nun auf eine andere Art zu zeigen, wie sehr sie mich lieb hat! Sie gab "Küßchen" und zwar ganz, ganz viele, indem sie in die Luft schmatzte! Angeline wurde immer schwächer. Sie konnte erst nur noch mit Kissen gestützt und einige Zeit später überhaupt nicht mehr sitzen und auch ihren Kopf nicht mehr halten! Schneller als wir damit gerechnet hatten, bekam Angeline schon nach 5 Monaten eine PEG - Magensonde, da sie nicht mehr essen wollte und konnte ! So schlimm es sich anhört, es ist eine ganz tolle und erleichternde Erfindung. Weder Angeline noch wir möchten die Sonde noch missen. Angeline muß sich nicht mehr quälen zu essen und fühlt sich einfach viel wohler!
Angelines Leben ist sehr schwer geworden. Spastiken, Schmerzen und Unruhe quälten sie monatelang, sodass sie schlecht schlafen konnte und sehr viel geweint hat.
Im Sommer 2000 ist Angeline schon erblindet. Die Myelinschicht ihrer Sehnerven ist zerstört und somit kann ihr ansich gesundes Auge keine "Bilder" mehr empfangen ! Hell-Dunkel-Unterschiede bemerkt sie jedoch noch, da sie morgens beim Aufwachen blinzelt. In der Sonne macht sie ihre Augen zu, es ist ihr zu hell. Wenn sie dann allerdings in einen dunkleren Raum kommt, macht sie ihre Augen ganz gross auf, da sie merkt "Hier blendet nichts mehr!"
Lange Zeit war Angelines Lachen ihr Kommunikationsmittel. Es war toll, wie man ihr mit kleinen Dingen wie zum Beispiel einer knisternden Plastiktüte das schönste Lachen entlocken konnte. Genauso konnte sie damals zeigen, wenn es ihr schlecht ging oder etwas "nicht richtig" war, indem sie weinte.
Heute ist sie zu schwach zum Weinen, nur wenn sie besonders schlimme Schmerzen hat, weint sie noch. Ihr Lachen war eine zeitlang ganz verschwunden. Seit ein paar Monaten lächelt sie aber wieder und jedes noch so kleine Lächeln lässt mich unendlich glücklich werden !
Angeline kann sich kaum noch mitteilen. Man muß sie schon ganz genau kennen, um ihre Gesten und ihr Verhalten interpretieren zu können. Sie geniesst es, auf meinem Schoß zu sitzen, dann dreht sie ihren Kopf zu mir und kuschelt sich bei mir an. Ihre Schmerzen sind bessergeworden, aber manchmal ist die Spastik leider vor allem abends immer noch sehr schlimm.
Immer wieder bricht Angeline häufig ihre Nahrung aus. Und jeden Morgen erwacht sie und erbricht den Schleim, der sich in der Nacht angesammelt hat ! Es ist schlimm, hilflos daneben zu stehen und ihr nicht helfen zu können !
Unser Leben, vor allem Angelines Leben, wird nicht leichter, am Schlimmsten ist, dass ihre Zeit Tag für Tag abläuft und ihr Tod immer näher rückt. Aber im Grunde habe ich meine kleine "Strahlemaus" schon einmal verloren: als die grausame Krankheit MLD ihr alles raubte, was sie mühsam erlernt hatte.
Doch nur ihr Körper ist so krank, ihr Geist und ihre Seele sind noch immer dieselben, die sie damals waren !

Katrin Arens
Angeline und Katrin


zurück zu Angeline´s Seite